Microlearning in der Kinder- und Jugendbildung

Lernen in kleinen Häppchen. Ob Lernvideos auf dem Sofa, der Beantwortung von Quizfragen während Wartezeiten oder Kurztrainings in formellen Bildungssettings: Wir alle betreiben Microlearning, meist ohne es zu merken. Der Ansatz hat inzwischen auch in der Bildung Einzug gehalten. Doch das wirft Fragen für Lehrkräfte auf. Mit diesem Beitrag gehen wir auf diese ein und erläutern die Herkunft des Microlearnings, sowie mögliche Einsatzgebiete in der Bildung.

Was ist Microlearning?

Microlearning oder Mikrolernen bezeichnet einen Lernansatz, bei dem Inhalte in kurzer Zeit, genauer zwischen einigen Sekunden und höchstens 10 Minuten, gelernt werden. Diese Zeitspanne soll die Funktion des Gedächtnisses optimal unterstützen und dem Vergessen der Lerninhalte vorbeugen. Es wird sowohl in der Erwachsenen-, wie auch in der Kinder- und Jugendbildung eingesetzt.

Charakteristika und Möglichkeiten des Microlearnings nach Baumgartner sind unter anderem:

  • kurze, in sich abgeschlossene Lerneinheiten
  • leichte Einbindung in Lernprozesse
  • schnelle Aktualisierung der Lerninhalte
  • Auswahlmöglichkeiten für Lernende
  • Unterstützung des selbstorganisierten Lernens
  • Interaktionen und Feedback-Schleifen

Eine einheitliche Definition gibt es jedoch nicht und einige vorhandene Versuche beziehen sich lediglich auf spezifische Formen von mikro-Lerninhalten.

Dennoch haben alle Definitionen Gemeinsamkeiten. Eine Art des Lernens*¹, auf die schon seit Urzeiten Wissen von Generation zu Generation weitergegeben wurde: In kurzen Anekdoten, Liedern, Geschichten oder Vorträgen, die selten formell organisiert waren. Die den Kern der Sache weitergaben, ohne sich in der Komplexität von Themen zu verlieren. Sie nutzten Metapher und Kommunikation zum Lernen, mit all ihren Herausforderungen rund um Begrifflichkeiten, Verständnis und Auslegung. An diesen Prinzipien können wir uns bei der Erforschung des Microlearnings orientieren.

Hintergrund des Microlearnings

Der Ansatz des Microlearnings basiert auf der Vergessenskurve von Hermann Ebbinghaus. Als einer der Ersten stellte er fest, dass das Gedächtnis nicht konstant bleibt, sondern abhängig von den Methoden und des zu lernenden Stoffes immer wieder zu- und abnimmt. Werden einmal gelernte und abgespeicherte Inhalte – auch nach langer Zeit – wiederholt, bleiben sie länger im Gedächtnis.

Hier kommt das Microlearning ins Spiel. Durch die Aufteilung des Lerninhalts in kleine Teile, kann Stoff wiederholt werden, ohne allzu viel Zeit in Anspruch zu nehmen. Dadurch kann die Wissensspeicherung und Produktivität verbessert werden.

Entwicklung des Microlearnings in der Gesellschaft des 21. Jahrhundert

Während die Ansätze des Microlearnings bereits seit über 100 Jahren entwickelt² wurden, sind die zugehörigen Begriffe wie Mikro-Inhalte, Micromedia und Microlearning relativ neu. Sie entstanden mit der Entwicklung von diversen medialen Mikro-Formaten im Zuge der Digitalisierung.

Trotz der langen Tradition des Microlearnings, entspricht es den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts³: Viel verfügbares Wissen, wenig Zeit und eine immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne. Tag für Tag sind Menschen einer Vielzahl an Wissensbrocken aus den verschiedensten Medienformaten ausgesetzt. Diese ständig zirkulierenden Mikro-Inhalte nehmen in der Zahl zu. Allerdings kann dieser unaufhörliche Konsum von Mikro-Inhalte auf Social-Media und anderen Kanälen zur Informationsüberlastung, Mediensucht und Aufmerksamkeitsstörung führen.

Grundsätze des Microlearnings

Setzt man sich mit Microlearning auseinander, ergeben sich einige Grundsätze, die Lehrerinnen und Lehrern als Anhaltspunkte dienen können.

Microlearning muss zu den Lernzielen passen

Das Mikrolernen kann ein großartiges Werkzeug sein. Es passt jedoch nicht zu jeder Klasse und nicht in jedes Thema. Pädagoginnen und Pädagogen sollten ihre Kompetenz nutzen, um Microlearning sinnvoll einzusetzen und damit Lernziele zu erreichen.

Bestehende Inhalte neu aufbereiten, statt immer neue zu erstellen

Bereits vorhandene e-Learning Kurse, Lernvideos oder andere Materialien können in Mikro-Lernformate verwandelt werden. So müssen pädagogisch relevante Inhalte nicht komplett neu gesichtet werden. Denn Microlearning soll im Idealfall weder für die Lernenden, noch für die Lehrenden kompliziert sein.

Spielerisches Lernen („Gamification“)

Microlearning ist prädestiniert für spielerisches Lernen. Ob Level, Quizzes oder andere Methoden von Gamification: Das Lernen in kleinen Häppchen darf Spaß machen.

Wiederkehrende Inhalte für verbessertes Lernen

Die wichtigsten Erkenntnisse aus den Microlearning Einheiten sollten regelmäßig wiederholt werden, um das Erinnern zu verbessern. Das kann zum Beispiel in Form von Quizzes, Zusammenfassungen, Austausch oder dem reinen wiederholen eines Moduls geschehen.

Soziales und kollaboratives Lernen fördern

Interaktive Elemente, Austausch über das Gelernte und Gruppenarbeiten sollten ein Teil von Mikro-Lerneinheiten sein. Microlearning an sich verbessert bereits das Engagement. Das Lernerlebnis kann durch soziales und kollaboratives Lernen noch einmal verbessert und vor allem reflektiert werden.

Freie Zugänglichkeit

Alle Lerneinheiten sollten auf so vielen Geräten wie möglich verfügbar sein. So haben auch Schülerinnen und Schüler ohne PC oder Laptop nach der Schule Zugriff auf die Inhalte. Auch im Unterreicht sollte es so zu weniger Engpässen kommen.

Vorteile von Microlearning

  • Wenig Zeit, um Lernziele zu erreichen: Microlearning geht schnell. Eine Einheit dauert meist weniger als 10 Minuten und kann damit zwischendurch, im Bus oder in Wartezeiten absolviert werden. Das macht es besonders reizvoll für den Einsatz in unterschiedlichen Bildungs-Settings.

  • Gesteigerte Lern-Motivation: Lernsitzungen sind für einen Großteil der Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung. Wissen diese, dass die Inhaltsvermittlung nur kurze Zeit dauern wird, sind sie von Anfang an fokussierter dabei und haben mehr Motivation, etwas zu Lernen.

  • Verbesserte Wissensspeicherung: Je öfter wir etwas wiederholen, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir uns den Inhalt merken. Durch die einfache Integration der Lerneinheiten in den Alltag wird das Wiederholen – und damit die Wissensspeicherung – erleichtert.

  • Ansatz für mobiles Lernen: Microlearning ist auf jedem Gerät möglich. Das verbessert die Zugänglichkeit, da Lerneinheiten auch auf dem Smartphone absolviert werden können. Das Hindernis der Hardware-Verfügbarkeit in Bildungseinrichtungen wird damit weitgehend umgangen.

  • Selbstbestimmtes Lernen: Außerhalb des Unterrichts und sogar während des Unterrichts können Lernende ihre Lerneinheiten und ihr Lerntempo mit Microlearning selbst bestimmen. Das ermöglicht die Abdeckung unterschiedlicher Lerntypen und fordert sowohl schnelle, wie auch langsame Lernende, ohne den Rest der Klasse auszubremsen oder zu verlieren.

  • Personalisiertes Lernen: Microlearning-Einheiten können jedem Lernenden individuell und je nach Bedürfnis zur Verfügung gestellt werden.

  • Ermöglichung des lebenslangen Lernens: Durch die Zugänglichkeit und ansprechende Lernumgebung kann Microlearning zum lebenslangen Lernen beitragen und Schülerinnen und Schüler auch außerhalb und nach der Schulzeit motivieren, sich immer wieder mit neuen Themen auseinanderzusetzen.

Herausforderungen von Microlearning

Trotz seiner Bekanntheit erfordert Microlearning wegen seiner tiefgreifenden Auswirkungen eine gründliche pädagogische Betrachtung. Neben den klassischen Herausforderungen von e-Learning sehen wir besonders die folgenden zwei Bereiche als zu überwindende Hindernisse an.

  • Beschaffung von geeigneten Lernmaterialien: Micro-Formate stehen viele zur Verfügung. An der Anzahl an Lernmaterialien mangelt es also nicht. Die Herausforderung besteht viel mehr in der Auswahl geeigneter Formate für den Unterricht. Die passenden Ressourcen zu sichten, kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Auch die Pflege, Speicherung und Organisation bereits vorhandener Microlearning Einheiten erfordert sowohl zeitliche, wie auch personelle Ressourcen.

  • Distribution und Zugänglichkeit von Lernmaterialien: Hunderte von Lerninhalten genau da einzusetzen, wo sie gebraucht werden und vor allem beim personalisierten Lernen den Überblick zu behalten, kann eine große Herausforderung für Lehrkräfte bedeuten. Auch Fragen in Bezug auf die Nutzung von Smartphones im Unterricht inklusive der Zusammenhängenden Themen wie Datenschutz und Cybersicherheit können Schulen und andere Bildungseinrichtungen vor Herausforderungen stellen.

Microlearning in der Bildung

In den folgenden Abschnitten zeigen wir Anwendungsbereiche und Fallbeispiele von Microlearning in der Bildung auf.

Anwendungsbereiche

Microlearning bietet sich vor allem für das e-Learning oder mobile Lernen an. Mit diversen Apps, Lernvideos, digitalen Kurztexten oder Quizfragen können Schülerinnen und Schüler vor Ort in der Schule lernen oder von überall aus auf die Inhalte zugreifen. Vor allem zur Prüfungsvorbereitung ist dies eine moderne Ergänzung.

Auch abgesehen vom Curriculum kann Microlearning angewendet werden. Diese „freiwilligen“ Lerneinheiten geschehen oft ganz nebenbei. Wir machen es, ohne es bewusst zu merken: Ob ein Lernvideo auf YouTube oder ein kurzes Wissensquiz, auf das wir beim Surfen gestoßen sind.

Ein weiterer Einsatzbereich von Micolearning ist das Thema Gamification. Mit Mikro-Herausforderungen und Spielen werden abwechslungsreiche Anreize gesetzt, sich mit den Inhalten zu beschäftigen. Auch Infografiken (sowohl on- und offline) und die Soziale Medien fallen unter den Bereich von Microlearning-Inhalten.

Fallbeispiele

Mobile Microlearning : eine Feldstudie zur Erweiterung des traditionellen Sprachunterrichts mit gamifizierten Lernanwendungen

In einer Feldstudie⁴ wurde untersucht, ob und wie der schulische Englischunterricht durch mobile Lernanwendungen effektiv ergänzt werden kann und entsprechende Richtlinien abgeleitet. Für den Englischunterricht wurde hierbei eine spielerische Anwendung entwickelt, die die Bedürfnisse der Eltern, Lernenden und Lehrkräfte berücksichtigte. Diese kam daraufhin im Englischunterricht zum Einsatz. Mit Gamification Elementen sollte der soziale Austausch, die Zielerreichung und die Klassendynamik gestärkt werden.

Lern- und Erklärvideos für den Einsatz in der beruflichen Bildung

Im Zuge der beruflichen Bildung wurden Lern- und Erklärvideos im Unterricht an berufsbildenden Schulen⁵ eingesetzt. Die Videos kamen im Fach Rechnungswesen zum Einsatz und hatten eine (fach-) didaktische Fundierung. Im Zuge einer wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation konnte ihre Effektivität überprüft werden und Microlearning erprobt werden.

Ein Blick in die Zukunft des Microlearnings

Für Microlearning gibt es viele Ansätze. Der Wunsch nach dem einen, allumfänglichen pädagogischem Konzept bleibt unerfüllt. Trotzdem lohnt es sich, in neue, unbekannte Bereiche einzutauchen und den Ansatz mit der eigenen pädagogischen Expertise auf die Bedürfnisse der eigenen Schülerinnen und Schüler anzupassen.

Lernen in kleine Abschnitte zu unterteilen und zu organisieren hat eine lange Tradition. So modern und neu Microlearning auch klingen mag, ist es im Grunde eine Weiterentwicklung der Wissensweitergabe seit Jahrhunderten.

Die E-Learning Benchmarking Studie 2016⁶ sieht vor allem bei den sogenannten Lernnuggets (Mikro-Inhalten) Potenzial. Auch im Rahmen der E-Learning-Trendstudie mmb Learning Delphi 2016⁷ erscheint Microlearning an dritter Stelle der aktuellen Trends.

Möglichkeiten zur Vertiefung des Themas

Sie möchten selbst erleben, wie sich Microlearning anfühlt und dabei ihre Kompetenzen erweitern? Das Angebot Coffeecup Learning⁸ ist ein kostenloses Microlearning Angebot für den systematischen Aufbau von digitalen Kompetenzen von Pädagoginnen und Pädagogen.

Erfahren Sie mehr über die facettenreichen Aspekte des modernen E-Learnings in unserer Veranstaltung:

Lernen ohne Grenzen: E-Learning als das neue Ökosystem der Bildung

10.10.2023 von 15:00 Uhr bis 16:30 Uhr


¹,²Microlearning in the Digital Age: The Design and Delivery of Learning in Snippets;Joseph Rene Corbeil, Badrul H. Khan, Maria Elena Corbeil Routledge, 09.05.2021 - 294 Seiten
³Theoretisch motivierte Erwägungen und Praxisbeispiele; Theo Hug; https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-92133-4_14
⁴https://repositum.tuwien.at/handle/20.500.12708/79372
⁵https://www.researchgate.net/profile/Christian-Steib/publication/363472707_Lern-_und_Erklarvideos_fur_den_Einsatz_in_der_beruflichen_Bildung/links/631ddd710a70852150e79728/Lern-und-Erklaervideos-fuer-den-Einsatz-in-der-beruflichen-Bildung.pdf
⁶https://www.researchgate.net/profile/Stefan-Schmid-22/publication/320757323_Schmid_Lehrkraftefortbildung_40-in_digitalen_Happchen_spielerisch_Kompetenzen_erwerben/links/59f9a7ca458515547c26d33f/Schmid-Lehrkraeftefortbildung-40-in-digitalen-Haeppchen-spielerisch-Kompetenzen-erwerben.pdf
⁷https://www.researchgate.net/profile/Stefan-Schmid-22/publication/320757323_Schmid_Lehrkraftefortbildung_40-in_digitalen_Happchen_spielerisch_Kompetenzen_erwerben/links/59f9a7ca458515547c26d33f/Schmid-Lehrkraeftefortbildung-40-in-digitalen-Haeppchen-spielerisch-Kompetenzen-erwerben.pdf
*⁸https://www.virtuelle-ph.at/oer/ccl/

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